Übersee-Einwohner gewinnt den 93. MuSoC Songslam
Wir schreiben Ostern, im Jahre 2025. Euer professioneller Zuschauer, der Norddeutsche Semantiker sitzt wieder vor dem Bildschirm und schaut in die Du-Röhre um Euch retrospektiv die Kunde der Muse, äh, des MuSoC zu überbringen. Es läuft zum 93. Mal der gigantische MuSoC Song Slam im Live Stream und auf dieser Erde irgendwo im Alpenvorland. Die Ostermarzipansaison ist gerade vorbei, die Vorräte neigen sich dem Ende und ich habe nun etwas Zeit, um die Osterpfunde bis zur Weihnachtsmarzipansaison wieder irgendwie zu vertuschen.
Um genau irgendwann bei Acht Uhr treten die beiden Herren Bohlmann und Sebastian auf die Bühne, eine tolle Bühne, die vielleicht beste und schönste Bühne, und fangen wieder an, einem irgendwas zu erzählen. Zum Beispiel, dass die 93 wohl gar nicht wirklich richtig gezählt ist, weil in der Corona Zeit einfach weitergezählt wurde aber die Finals keine Nummern abbekommen haben. Ich bin kurz geneigt, in meinem Archiv mal nachzuschauen, um diese ungeheuerliche Aussage zu prüfen, verwerfe den Gedanken aber bald wieder. Keine Lust heute. Vielleicht mal an einem trüben Winterabend. Ich konzentriere mich dann doch lieber auf die Acts des Abends, und weil Ostern ist nennen wir sie einfach Eggs des Abends. Easter-Eggs.
Der erste Egg ist ein alter Bekannter. Und er ist immer gern gesehen und kommt auch immer wieder gerne, seit nunmehr 12 Jahren.
Den Abend eröffnet also Kai Wunder, der wieder zwei Perlen im Gepäck hat. Das Switchboard liegt, das Mikro ist gerötet, der Reverb ist auf max, das Capo klemmt.
Alles bereit für den Rockstar Kai, sinnigerweise auch sein erster Song. Der zweite Song ist was fürs Herz, und das sogar im medizinischen Sinne. Denn
Tarataratam ist die Lautmalung seines Herzschlags und Kai erklärt uns, was das genau heißt. Bis der Hahn dies beendet.
Als zweites kommt Line Paulsen aka Pauline auf die Bühne und arbeitet sich gesanglich anspruchsvoll durch ihr Poetry Slam Textmaterial, eingepackt in englische Verse und begleitet mit der Gitarre.
Es geht bei ihr ums Zuspätkommen. Da darf die Analogie zur Bahn nicht fehlen, kommt natürlich auch im zweiten Song. Wer immer schon mal wissen wollte, ob man mit Lippenstift pfeifen kann, muss in die Drehleier zum MuSoC Song Slam kommen.
Oder den Stream nochmal laufen lassen. Die Auflösung ist zu hören bei Minute 33:42. Mehr wird nicht verraten.
Mit der Startnummer 3 kommt dann Susanne Binder auf die Bühne. Susanne hat Klavier gelernt – kann man nicht überall hin mitnehmen. Geige gelernt – will nicht jeder hören. Also nochmal Gitarre gelernt und nun damit endlich auf der Drehleier Bühne.
Susanne macht lange schon Musik, aber mit eigenen Songs hat sie erst vor relativ kurzer Zeit begonnen. Ihr erster Song ist dann auch eine Hommage an ihre Lieblingsstadt, Home of Drehleier, das große Dorf im Süden das seit kurzem den IATA Code als alternatives Autokennzeichen führen darf. Am Ende war Susanne schneller fertig als der Hahn. Lag’s an der Aufregung?
Der Vierte Easter-Egg Ames spielt zunächst in eine dunkle Drehleier, glaubt er. Konnte man aber ändern. Deutsche Singer Songwriter Geschichten sind sein Metier, zudem auch noch eigenes Material. Der erste Song kann nur eine versteckte Botschaft über die demografische Entwicklung in Deutschland sein – oder ist Kirk Douglas gewidmet.
103 ist das Alter, das es zu erreichen gilt, wenn Ames die oder den Adressaten des Songs liebt. Was ich jetzt nicht herausgehört habe, wie jung oder alt ist dann die besungene Person darselbst? Der zweite Song von Ames spielt mir aus der Seele. Es ist wie es ist, ist die Botschaft. Und es ist eben nicht anders als es ist, wie es ist. Das durfte die Drehleier dann sogar mitsingen bis zum Hahn.
Easter-Egg Nummer 5 ist ein Duo, nämlich Jacky Ashfield mit Gitarrenpartner Munir Salman. Ausgewandert ist Jacky aus Hameln ursprünglich für ein FSJ um die Ecken in Münchner Cafes kennenzulernen, in denen man sich verstecken kann, und sich über unerwiderte Liebe und Anrufe Gedanken zu machen.
Inzwischen tintet sie diese Erfahrungen in englische Texte und Songs. Jacky macht jetzt nicht den Eindruck, als ob irgendwer mit einer Flöte sie wieder zurück nach Hameln locken könnte. Wobei, wenn ich mich recht erinnere, der mit der Flöte ja auch raus aus Hameln zog.
Die Nummer 6 auf der Drehleier Bühne räumt endlich auf mit dem dumm Tüch das mir als Kind vertellt wurde. Ich habe es meinem ersten Englischlehrer sowieso nie geglaubt: John-Brown liegt eben nicht in einem Erdloch und modert vor sich hin. Nein, er lebt noch (der alte Holzmichel übrigens auch, aber das ist eine andere Geschichte).
John-Brown aka JB lebt und singt als Evans auf der Drehleier Bühne seine Geschichten vom Kap. Zum Beispiel von dem Ort wo er aufwuchs, irgendwo in Afrika Süd und wo man heute noch seine Seele hütet. Außerdem kümmert er sich im zweiten Song des Abends noch um die Liebe. Und das alles recht folkig.
Egg Nummer 7, einfach Karl, hat sich Franz als Verstärkung mitgebracht. Und hatten wir bis dahin alles Gitarristen am Start, setzt Karl sich als erster Egg des Abends ans Klavier während Gitarrist Franz sich und seine Riffs behutsam komplementär daneben drauf setzt. Manchmal wird man ansatzweise an den Sound von Herrn Knopfler erinnert, bei Franzens Gitarrenspiel.
Oder vielleicht liegt es auch mal wieder an mir. Die Kamera braucht ein paar Minuten, um Karl und Franz wieder ins Bild zu rücken aber wir Streamer haben alles gehört. Schöner mit Dir ist eine Hommage an die richtige Richtung oder auch die wahre Heimat, während Immer so sein gar nicht so leicht zu sein scheint. Singer Songwriting für Klavier und Gitarre zum Zuhören von Karl bis zum Hahn.
Und als letztes Egg in der Runde vor der Pause ist Micha Kern aus Übersee mit Gitarre bei uns auf der Bühne. (Übersee ist am Chiemsee. Kommt aus der Zeit vor google Maps, als man bis zum Horizont nur den See beim über’n See schauen sah und nicht wusste was dort noch kommt. Manche denken heute noch, da ist Preussen.) Als vor vielen Jahren unser langjähriger Weggefährte Sebastian Klein seine Tommy Emmanuel Signature Gitarre mit rasantem Fingerstyle malträtierte, hatte ich mir vorgenommen, einmal eben jenen selber live zu sehen. Hat dann letztes Jahr auch geklappt.
Kann man nur empfehlen. Man glaubt nicht, was man hört. Aber Micha Kern kann das auch. Er kann so Delphine fliegen lassen, und Wale singen lassen, und nebenbei auf die Uhr schauen. Wie ein Irrwisch hasten die Finger der linken Hand über die Bünde, während mit der rechten Hand gefühlt vierundsechzigstel Noten gezupft werden. Eine wahrlich irre Anzahl an Noten in kürzester Zeit gleichzeitig und hintereinander. Augen zu und eintauchen.
Und so haben wieder einmal 8 tollkühne Künstlerinnen und Künstler auf der Drehleier Bühne gezeigt, was die Münchner Szene zu bieten hat. Wieder ist es schwer, sich entscheiden zu müssen. Muss man auch nicht unbedingt, denn das Wahlvolk in Haidhausen hat ja mehr Stimmen und kann einfach alle wählen, und man kann kumulieren, panaschieren oder sich einfach überfordert fühlen von der Vielfalt und der Qualität der Eggs dieses Osterfest. Auch und vor allem als Gigant.
Es sollte noch dramatisch werden. Doch zunächst kommen wie immer die drei Eggs aus der Pause, die am meisten Stimmen haben. Und das sind laut projizierter Säulen Line Paulsen, die stimmlich überzeugen konnte, Micha Kern mit seinen fliegenden Fingern und Karl mit Franz und ihren tiefgründigen deutschen Liedermacher Songs.
Und dann wurden wir Zeugen unfreiwilligen Impro Theaters. Herr Sebastian hatte sich und Herrn Bohlmann ein Ei gelegt, indem er Jacky Ashfield unter die ersten drei ansagte, dabei war es Line Paulsen. Das ist noch nie passiert und musste irgendwann mal vorkommen.
Um die Sache nun aber ganz sicher zu verifizieren, musste Herr Sebastian noch einmal an die digitale Wahlurne und Korrektur zählen. Und Herr Bohlmann blieb auf der Bühne alleine zurück und erzählte einen Schwank aus seiner Jugend. Thema: im falschen Job. Mein Reden.
Den richtigen Job aber machen unsere 3 besten, wobei wir uns dann doch nach der ersten Zugabe bereits von Line Paulsen verabschieden mussten, die dafür den Prostpreis bekommt, wie übrigens auch Jacky Ashfield mit Support für das Versehen.
Bleiben Karl oder Micha übrig. Wer sollte es werden. Beide Zugaben konnten noch einmal Boden gut machen und es war am Ende Micha Kern, der hauchdünn die Kabine auf seiner Seite hatte und sich per Applausometer noch einmal 10 Punkte sicherte. Was half, denn Karl hatte nur 2 Punkte Vorsprung auf Micha, der ihn damit ein- und überholt hat, und damit der Evening Hero des 24. April 2025 ist. Micha Kern aus Übersee gewinnt den 93. MuSoC Munich Song Contest und qualifiziert sich, wie der Zweitplatzierte für die Wahl des Jahreschampions im Dezember.
All unsere Glückwünsche gehen an Micha Kern für das Fotofinish. An die anderen TeilnehmerInnen Karl, Line, Susanne, Jacky, Kai, Ames, JB, das Publikum und alle die im Live Stream waren. Für eine super Performance. Für große Kunst. Für einen schönen Abend.
Wir darben nun in einer unendlich langen Sommerpause ob des Mangels an Soulfood und großen Spektakels bis zum September. Von heute, dem Tag nach #93 bis zum 11. September sind es 139 quälende Tage. Da muss man hart sein, die Strichliste am Kühlschrank runterstreichen, das Maßband jeden Tag einen Zentimeter abschneiden oder einfach zwischendurch in den Urlaub fahren. No sleep till MuSoC. Aber man kann selber was tun: anmelden, Tickets bestellen, allen, die man mag, Tickets schenken und mitbringen, allen, die man nicht mag, Tickets schenken und hinschicken, Stimmen bereit halten, neue Songs schreiben, alte üben und am 11. September auf der Bühne aufführen. Es gibt viel zu tun bis September, wenn man will. Wir sehen uns.
Alle Fotos: Benjamin Händel