Der 91. MuSoC Song Slam in space: Marina over the moon

Vorwort des Autors

Der November ist ja so ein spezieller Monat. Viele mögen ihn nicht, weil sie zu viel Friedhofsbesuche mit Oma machen müssen. Oder weil ständig irgendwelche Revolutionen oder Wahlen oder Regierungszerwürfnisse passieren. Oder weil er einfach nur dunkel und feuchtkalt ist und noch nicht den Schnee- und Weihnachtsmarkt-Zauber des Dezember hat. Oder weil die erste richtige Grippewelle meistens in der Zeit durchrauscht.
Und so erwischte es auch das halbe Musoc Team in München vor Ort. Und das halbe Künstlerkollektiv, das sich zum 91. Musoc Song Slam angemeldet hatte. Und auch mich, aber ganz. Deshalb möchte ich hier vor der eigentlichen Berichterstattung des Abends einen kurzen aber wie immer unseriösen Exkurs in die Umstände des Remote-Workers des Musoc machen. Wem das zu blöd ist, springt hier gern vor zum nächsten Foto oder noch besser: kommt gleich selber in die Drehleier und muss dann das ganze hier nicht lesen.

Musikgourmet Lars: Voller Einsatz aus dem Krankenstand

Nachdem ich nach vielen Jahren pandemisch motiviert meine Homebase in München aufgegeben habe und in mein Heimatdorf zurückgekehrt bin, wusste mich der Herr Sebastian noch stets als Musik-Gourmet und vor allem Live-Berichterstatter aus der Ferne zuverlässig am Livestream. Doch dieses mal grätschte das Virus, das biologische, dazwischen und verhagelte mir die zeitgleiche Teilnahme am Livestream. Es fand sich kein kurzfristiger Ersatz. Die Lösung war dann, den Text einfach hinterher zu schreiben, aus der Vergangenheit. Denn der Livestream schreibt den Song Slam in die virtuelle Welt. Pragmatisch betrachtet ermöglicht dies mir, diesen launigen Text dann eben drei Tage später in die große Wolke zu schieben. Diese Möglichkeit ist für uns Menschen des Digitalozäns inzwischen völlig normal. Ereignisse wie MuSoC existieren damit fantastillionenfach zeitlich parallel nebeneinander her. Existenzphilosophisch wäre die Matrix damit bewiesen. Neo springt in der Drehleier durch den Noten-Kugelhagel.

Als Home-Office worker ist das alles normal und man lernt es zu schätzen. Was mir persönlich bei diesem Zeitsprung allerdings fehlt, ist das Dabei-Erlebnis, das man (auch) in der Übertragung hat. Wie war es denn früher im Analogozän? Wir Eurovisionskinder kennen es noch, das Gefühl, wenn die große Live-Show am Samstagabend lief: „Wir begrüßen auch ganz herzlich die Zuschauerinnen und Zuschauer aus Österreich und der Schweiz. [TöTöö-Te Deum]“ Man saß damals mit der ganzen Familie zwar nur vor dem 55cm Grundig, Eiche Furnier, und nicht drin, aber man konnte doch wunderbar den Moment aufsaugen und fühlte sich als Teil einer nationalen Bewegung, die man nicht verpassen durfte. Man hatte ja auch keine andere Wahl, denn wer konnte damals Kulenkampff oder Carrell am Sonntag Vormittag nachholen, weil er Samstag Abend arbeiten oder Geburtstag feiern musste? Niemand. Man hat es einfach verpasst, denn Videorecorder gabs da noch gar nicht. Und selbst später als es sie gab, in der Gottschalk Ära, erforderte solch ein utopischer Plan zunächst einmal astronomische Investitionen in monströses Gerät mit Timer oder VPS, was ohnehin nie funktionierte.

Und heute? Donnerstag bis Samstag 39 Grad Fieber. Sonntag im Youtube Stream die Show geschaut. Und dann… schreiben.
Und deshalb kommen wir nun zum [TöTöö] weltweit ersten MuSoC Kommentar, der nicht per direkter Beiwohnung an Zeit und Raum entstand, sondern nur noch völlig losgelöst hinterher. Also auf geht’s, gib mir den Stream, Baby.


Kleiner Zeitsprung nach vorn

Hm. Ich schaue nun schon fast 10 Minuten auf diesen Stream und sehe nur das eingefrorene Testbild, aber ich höre die üblichen Begrüßungsfloskeln der beiden Moderatoren. Also wird es heute wohl eine Radioübertragung geben. Supi. Ich muss ja gestehen, ich liebe Radio, das alte lineare Zeug. Ich höre Fußball seit nunmehr 45 Jahren immer noch saugerne im Radio. Und da hier offensichtlich keine Kamera in der Drehleier läuft, stelle ich mich also auf ein Radiokonzert ein. Für mich ist das kein Problem: den beiden Herren Bohlmann und Sebastian habe ich nun schon so lange immer bei der Arbeit zugeschaut, also mir persönlich reicht das, und wir werden ja alle auch nicht jünger. Und ganz ehrlich, nur zuhören ist toll und der Ton ist gut. Herr Sebastian sagt gerade, daß ich hier heute gar keine Ausnahme, sondern die grippale Regel bin. Die Hälfte des Teams ist krank. Da war wohl niemand mehr für die Kamera übrig, denke ich mir. Und auch die Künstler sind dezimiert. Nur fünf statt der erwarteten acht Acts sind an Bord. Bedeutet am Ende mehr Zeit für jeden, also heute mal acht Minuten Bühne bis zum Hahn statt derer sechs.

Aber dann auf einmal, bei Minute 19:24 im Stream geht die Sonne auf. Es gibt doch ein Bild und wir können die beiden Künstler sehen. Hurra. Das Duo Pikant-Galant mit Klavier und Bariton und Comedy im Stile des kleinen grünen Kaktus darf als erstes ran. Eine Weltpremiere, wenn ich mich richtig erinnere. Frage ans Archiv: gab es den Max Raabe-Stil als Duo in den 90 bisherigen Musocs schonmal? Sinnigerweise haben Lukas und Christian als ersten Song eine Geschichte über das Berliner Ampelmännchen mitgebracht. Wir erinnern uns, gerade in diesen Tagen: Was ist aus der DDR geblieben? Genau. Das Ampelmännchen und der grüne Pfeil. Im Song leidet die öffentliche Ordnung erheblich, weil sich das Ampelmännchen in das Ampelweibchen verliebt, dadurch seine Pflichten vernachlässigt und in der Folge im Sinne der StVO das totale Chaos ausbricht. Zum Glück funktioniert die Realität natürlich anders: die Ampelmännchen tun natürlich zuverlässig ihren Dienst, solange die Birnen dahinter leuchten. Aber beim Musoc schauen wir natürlich immer investigativ auf den großen Zusammenhang. Am 7. November 2024, am Tag der Auflösung der Berliner Ampelkoalition, kommen zwei Zeitreisende aus der Weimarer Republik nach München, um über Chaos in der Ampel zu singen. Das ist doch kein Zufall. Doch, hier können wir Entwarnung geben. Es ist wirklich nur eine “normale” Liebesgeschichte und keine Fabel über die politisch chaotischen Verkehrsverhältnisse der Bundesregierung. Denn wer sich die Lichtzeichensignalanlagen genau anschaut, sieht, dass es dort keine gelben Ampelmännchen gibt, sondern nur rote und grüne. Dafür ist mir im zweiten Song, dem Titelsong von Pikant-Galant, eine subtile Zeile ganz am Anfang aufgefallen: “Am Dienstag fliegt der Friedrich schnell, per Privatjet in das Grandhotel?” Oder habe ich mich verhört? Wird am Stream liegen. Herrlich. Am Ende kräht unser Bundes-Gummi-Adler.

Startnummer zwei mit acht Minuten Bühnenzeit in der Drehleier ist Marina Marie, die nicht nur die einzige Dame am Abend des 91. Musoc Songslam ist, sondern auch noch von ihrer Band alleine gelassen wurde, wahrscheinlich wie alles heute krankheitsbedingt. Was nicht krank wird, nur hin und wieder von einem Virus oder einem Wurm (z.B. dem Apfelwickler) befallen werden kann, ist der Laptop. Und den hat Marina heute dabei, statt Gitarristen. Ihre musikalische Untermalung aus diesem digitalen Fruchtkorb gezaubert, chillige Beats, deutscher Text, mäandert sich Marina stimmlich gekonnt durch die Oktaven und erinnert gesanglich an eine ganze Riege von Gen-Z Softrapperinnen, ohne dass einem jemand so richtig einfallen will. Anders gesagt: Marinas Stil ist auf der einen Seite total eingängig und vertraut, und auf der anderen Seite aber auch sehr differenziert. Sehr, sehr schön. Und im beste Sinne Nische. An dieser Stelle sei bitte allen Künstlern gesagt: wenn eure Weltkarriere am Höhepunkt ist, denkt bitte daran: im Musoc in der Drehleier hat alles angefangen.

Die Botschaft geht natürlich auch an the moon 2000, an Martin Groß, der eigenen Angaben zufolge gerade 50 Jahre Bühnenpause hatte, um nun mit neuem Gitarristen Markus endlich wieder back to stage zu sein. Das mit den 50 Jahren Pause nehmen wir dir nicht ab, Martin, obwohl das natürlich eine starke Kompetenzvermutung beim Thema Jung und Alt stützen würde, wie im zweiten Song thematisiert. Das erste Songthema Digitales liegt allerdings zeitlich deutlich näher. A propos Digitales, auch Martin holt sich die Sound-Unterstützung vom Laptop während Markus sich rockig dazu telecastert. Und die beiden zaubern so im ersten Set mit ihrem Future Pop einen nicht so häufig gespielten Stil in die Drehleier. Der Name the moon 2000 passt zum Stil. Das outfit zum Namen. Und tanzbar ist das ganze auch noch. Was steht dem Wieder-neu-Durchstarten jetzt noch im Wege? Vielleicht der Herr Bohlmann, der die Notenständer auf der Bühne kaputt macht und die Jungs stilmäßig in die 70er und 80er befördert.

Aber nicht nur das. Herr Bohlmann “vergisst” auch noch zwei Bandmitglieder bei der folgenden Ansage. Gut, man könnte vom Band-Namen her auch durchaus meinen, es gäbe nur zwei Künstler, denn die Formation heißt KratzlBaur (wie so häufig südlich der Elbe am liebsten ohne E, die haben wir im Norden alle schon verbraucht) und setzt sich aus zwei Nachnamen zusammen. Aber auf einmal waren da vier auf der Bühne. Klavier, Gitarre, Drums und Gesang mit Notebook (diesmal aus Papier und mit Lampe). Aber wahrscheinlich würde KratzlBaurGschwendtstetterPettersson die Ansage sprengen. Wobei ich zugeben muss, dass ich gar nicht weiss wie die beiden anderen wirklich heißen. Aber zumindest Pettersson für einen von beiden liegt nahe, denn die Kombo kommt daher, wo IKEA wohnt. Aus Eching. Der erste Song, den die vier mitgebracht haben, ist so ein bisschen wie die Antwort auf „Hamburg, meine Perle“, eine Hommage auf Münchnerisch. Es geht um Franz. Um beide. [Einschub] An dieser Stelle muss ich eine Anekdote bringen: ich traf neulich einen jungen Mann, der im Sommer 1990 geboren wurde, und seine Eltern hatten situationsbedingt zwei Namensvorschläge im Kopf: Franz oder Diego. Nun, die Familie lebt in Hamburg und man wollte am Ende nicht, dass der Name allzu exotisch klingt und auch nicht, dass der Junge ständig gefragt würde, woher er denn kommt. Also heißt der Mann jetzt Diego. Passt. Aber zurück zur Drehleier: wir lernen von KratzlBaur im zweiten Song noch, wie man auf bayrisch versucht, jemanden seine Sympathie zu bekunden und müssen uns nun langsam überlegen, wer unsere Stimmen kriegen soll.

Denn einen haben wir nur noch vor uns, einen live looping artist with jiggly legs: Teemo Ben. Aus FFM. Und das ist dann doch noch mal ein Höhepunkt, denn der Soundcheck wird schon als Kurzperformance geloopt bis die Saite reißt. Aber die Nummer “Das brauche ich auf dem Monitor” war dann wohl doch nichts, womit er ins Rennen gehen wollte. Teemo macht dann auch nicht den Keith Richards sondern bekommt vom backstage Team gleich die nächste Ovation gereicht. Und überhaupt: Spannenderweise ist Teemo heute der erste (und auch der letzte) “klassische” Singer-Songwriter mit Gitarre auf der Bühne. Zwar technisch unterstützt mit der Loopstation, aber dafür ohne Band, Laptop, Klavier oder IKEA. Und dann lief er zu Hochform auf, die Ovation loopte wie die eigene und er haute stimmlich alles raus was ging. Energie pur. Ein wunderbarer Abschluss der fünf Acts des Abends, aber eben auch wieder schwer wie Bolle, sich zu entscheiden.

Am Ende zählt auf dem Platz. Und dafür heißt es, erstmal die Top3 auszuzählen. Und das sind diesmal im 91. MuSoC Songslam die drei Acts Marina Marie, the moon 2000 und KratzlBaur. Und die müssen nun nochmal ran. Ziel der Schleifen von “alle” auf “3” auf “2” auf “1” ist ja eigentlich nur, dass die Künstler, die weiterkommen, soviel Bühnenzeit bekommen, bis ihr Repertoire am Ende ist. Hatten wir auch schon mal.

Nun will ich das nicht endlos in die Länge ziehen, Ihr alle wollt wissen wie es ausgeht – falls Ihr es bis hierhin durch diesen sinnlosen Text geschafft habt. Marina Marie knüpft nahtlos an die erste Runde an und lebt leicht, einfach dort weiter, wo sie aufgehört hat. themoon2000 geht ziemlich geflasht in Extase und KratzlBaur verbringt Zeit mit Dir, also eigentlich zuwenig davon und überhaupt zu schnell. KratzlBaur können damit den dritten Platz behaupten und bekommen den Prostpreis vom Haus.

Aber… [Trommelwirbel] natürlich wollen wir es nun endlich wissen: who is the one? Mit Saalapplausometerzusatzpunkten und ohnehin schon einem kleinen Vorsprung konnte Marina Marie den ersten Platz for themoon2000 holen und sich damit den Gewinn des evening hero des Musoc Songslam Nummer 91 für ihre Vitrine sichern. Hurraaaa. Große Konfettikanone. Viele Glückwünsche vom Team.

Und wir werden sie hoffentlich bald wieder hören, denn am 5. Dezember ist das Musoc Song Slam 2024 Finale. Die besten des Jahres werden teilnehmen und um die wichtigsten Preise der Musikbranche spielen: einen Studiotag, einen 150 Euro Thomann Gutschein und natürlich den Beginn der Weltkarriere. Und wenn Ihr dann in Wembley auf der Bühne steht, bitte Musoc nicht vergessen zu erwähnen.

Tragt ihn euch in den Kalender ein, den 5. Dezember, es wird sicher voll. Kommt alle. Und lasst uns ein großes Musoc Jahr 2024 abfeiern.