Song Slam 67 virtuell. Die Musik bleibt.

von Michael Erle

Vorher waren 66 Song Slams, mit Künstlern, auf einer Bühne. Dann kam das Jahr 2020, Abstands- und Hygieneregeln. Konzerte vor Publikum sind zur Zeit unmöglich. So wurde der Song Slam 67 geboren. Virtuell, Wohnzimmer-basiert, vorab aufgezeichnet. Ohne den bekannten (oder berüchtigten) Hahnenschrei. 

Ein Experiment, eine Premiere, eine unerwartete Mischung aus dem authentischen Erlebnis des Live-Songslam und der Reichweite des Streamings.

Und er hat funktioniert.

Zum 67. Song Slam hatten die Macher Alex Sebastian und Michael Bohlmann Künstler und Gäste nicht wie gewohnt in die Drehleier geladen, sondern (der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung geschuldet) aus den heimischen Kellerstudios in die Wohnzimmer der Zuhörer projiziert. Moderation und Interviews waren live, die musikalischen Darbietungen kamen aus der Video-Dose.

Liveunterhaltung von zuhause, Performance aus Qualitätsgründen aus der Konserve. Michi Bohlmann stellt Alex Pelzer vor. So geht Song Slam im Lockdown.

Das hatte in erster Linie technische Gründe: Smartphone-Streams haben nur sehr begrenzte Sound-Qualität. Aber die meisten Musiker haben die technischen Mittel, zumindest eine grundlegend brauchbare Audio-Aufnahme zu produzieren. Die acht Auftritte waren allesamt gut anzuhören, und für eine Videoaufzeichnung mit den Mitteln eines durchschnittlichen Smartphone-Besitzers auch sehenswert. Es gab keine muffigen Sounds, keine unterbelichteten, rauschigen Bilder. Nur acht Künstler bzw. Künstlergruppen, daheim mit ihren Instrumenten und ihrer Musik. Es war eine neue Art der Authentizität, die zur Bühnenerfahrung in einem interessanten Kontrast steht: virtuell, aber intimer als der Blick aus dem Zuschauerraum des Theaters.

Die acht Acts des 67. Song Slams

Das Niveau des Abends war sowohl technisch wie auch musikalisch hoch. 

  • Sympathischer, enthusiastischer und gut gelaunter Singer-Songwriter mit der Selbstaufgabe, sein Publikum ironisch zu quälen: Marcus de Sade

    Den “Opener” gab Markus de Sade, ein sympathischer, enthusiastischer und gut gelaunter Singer-Songwriter mit mitreißendem Groove. Er bereitete die Bühne für 

  • Alexander Pelzer, einen ehemaligen Kölner und Wahl-Münchner, der mit einem englischen Trinklied und einem deutschen Song zum Thema „In Quarantäne ist das so“ zwei relevante Aspekte des Jahres 2020 ansprach. 
  • Freunde des Jazz und Chansons kamen danach mit 2 for 10 auf ihre Kosten – das Duo aus Jana und Michael brachte mit ihren jazzigen Blues-Harmonien und der rhythmischen Begleitung durch Stepdance neue Aspekte in den Song Slam ein. Die ausgefeilten Gesangs-Harmonien taten ihr übriges, einen bemerkenswerten Auftritt zu liefern. 
  • Konnte musikalisch auch ohne seine Band (die “Blackbirds”) mit rhythmisch akzentuierter Musik überzeugen: Dan Cox

    Die Inter-Europäische Ader des Songslam wurde danach vom vierten Künstler des Abends weitergeführt: Dan Cox aus Brighton hatte zwar beim Live-Interview einen Hänger in der Leitung, konnte aber musikalisch auch ohne seine Band (die “Blackbirds”) mit rhythmisch akzentuierter Musik überzeugen, die genauso gut mit einer vollelektronischen Rockband funktionieren würde. Er wurde dafür später mit dem vierten Rang in der Zuschauergunst belohnt, haarscharf hinter dem nächsten Act. 

  • Apollon’s Smile boten den Titelsong aus ihrem neuen Album “Another Brand New Day” dar. Ihre gefällige Folk/Country-Mischung brachte ihnen den berüchtigten “Prost-Preis” des Abends ein – nicht zum ersten Mal, wie Kenner des Song Slams sich erinnern werden. 
  • Der Abend strebte nun seinem Höhepunkt zu. Die fünfte Darbietung gehörte den Headlights, die an diesem Abend nur im Duo von Sarah und Michi auftraten. Die niederbayrische Band schöpft aus der lebendigen Szene der Region und bot ihre Musik mit erfrischender Aufrichtigkeit und einigem Können dar. 
Erinnerten an den Soundtrack eines Film Noir, an verrauchte Bars und ausgefeilte Drinks: Die Sieger Rose Malone
  • Ähnliches gilt auch für Rose Malone, die als vorletzter die virtuelle Bühne betraten. Mit Klavier, Saxophon und Vocals erinnerten ihre Songs an den Soundtrack eines Film Noir, an verrauchte Bars und ausgefeilte Drinks. Eine Mischung, die dem Publikum gefiel und sie zum Sieger dieses Song Slams machte – knapp vor dem letzten Act des Abends.
Nicht „Rock Bottom“, wie ihr Song, sondern Platz 2: Micah & Tommy
  • Micah & Tommy. Das Singer-Songwriter-Duo schaffte es, mit nur einem Song die Gunst der Zuhörer zu gewinnen. Dessen Titel “Rock Bottom” stand im krassen Kontrast zum (knappen) zweiten Platz. 
Punktewertung ausnahmsweise ohne Applausometer für die beiden Qualifikanten.

Wie auch bei den Live-Song-Slams blieb die Rangfolge der beiden erstplatzierten Künstler ein Geheimnis, bis beide eine Zugabe gespielt hatten. Anders als bei den Events in der Drehleier konnte ein knappes Ergebnis nicht durch das “Applausometer” gefällt werden. Es ist durchaus offen, ob Rose Malone (nun mit E-Gitarre statt Piano) oder Micah & Tommy mit einem Kazoo-Part am Ende die Nase vorne gehabt hätten. Unstrittig ist, dass das Jahresfinale am 3. Dezember 2020 um mindestens einen faszinierenden Act reicher ist.

Wie hier beim der Aufnahme des 2019er Champions filip: Ein Studiotag in den Amperstudios Oberschleißheim wartet auch diesmal wieder auf den Jahresgewinner.

In diesem Finale winkt den beteiligten Künstlern über Anerkennung und Bekanntheit hinaus noch ein konkreter Preis: ein Studio-Tag in den Ampersudios und ein 150,- €-Gutschein von Thomann versüßen den Titel des Top-Acts 2020. Noch steht nicht fest, ob dieser Höhepunkt des Song-Slam-Jahres physisch auf der Bühne stattfindet oder virtuell aus dem Wohnzimmer heraus präsentiert wird. Fest steht, dass die Teilnehmer – Sieger und Zweitplatzierte aller voran gegangener Runden in 2020 – mit zu den interessantesten Künstlern des Genres zählen dürften. 

Dem Song Slam daheim beizuwohnen ist nicht das Gleiche, wie in der Drehleier Schulter an Schulter mit den Künstlern mitzufiebern, wer heute den Sieg davon trägt. Aber die Qualität der musikalischen Darbietungen ist ungebrochen, der Spaß ungetrübt. München hat einen Ruf, bei der Musik der ruhigen Töne besonders stark zu sein. Die Munich Song Connection ist auch im Jahr der virtuellen Konzerte sowohl ein Grundstein der Musikszene als auch ein Beweis, dass es in der Landeshauptstadt unendlich viele faszinierende Künstler gibt, die man kennenlernen kann. Insofern war der 67. Song Slam eine Überraschung: Dass die Authentizität der Singer-Songwriter-Musik durch den virtuellen Verbreitungsweg nicht leidet, sondern durch eine neue Intimität und die Qualität und Vielfalt der teilnehmenden Künstler zu einem völlig neuen Event werden kann, hätte ich persönlich nicht erwartet. 

Es dauert hoffentlich nicht mehr lang, bis wir Musik wieder vor Ort erleben können. Aber wenn alle Events bis dahin auf dem gleichen Niveau stattfinden wie der 67. Song Slam, dann können wir trotz aller Sorgen um die Veranstaltungs- und Kultur-Branche zumindest sicher sein, dass die Lust an der Musik und der Drang zur Kreativität auch im Annus Horribilis 2020 ungebrochen ist.

 

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