MuSoC #open 49: Sissi van Thal gewinnt im Applausometerfinish

Was war das für ein Sommer: Temperaturrekorde sind gepurzelt, die USA sind Weltmeister im Quidditch und Irland im Beetpflügen. Und weil tagsüber ein schöner warmer Spätsommer-Frühherbsttag in München war und der Deutsche Fußball zeitgleich seine Auferstehung gegen den anderen Weltmeister begehen wollte, hatte ich im Vorfeld leichte Bedenken ob die Drehleier einigermaßen voll werden würde. Aber sie wurde. Es kamen zahlreiche alte Fans und solche, die es werden sollten. Und sie erlebten nichts weniger als ein Spektakel an diesem 6. September bei Münchens erstem Song Slam. Die KünstlerInnen kamen von weit her, tolle Songs von bayrisch bis melancholisch und ein Comedian im falschen Körper erinnerten uns, was wir den Sommer über vermisst haben. Endlich wieder MuSoC, endlich die Rückrunde 2018.

Den Anfang machte Manuel Winhart, der letzte Gewinner vor der Sommerpause. Er machte fast dort weiter, wo er im Mai aufgehört hat. Diesmal in Englisch. Der Multiinstrumentalist eröffnete mit seiner melodisch gepickten Gitarre den Abend und verbreitete dabei ein süffiges Jack Johnson Feeling. Schöne Musik für den abendlichen Chill am Strand bei lauen Temperaturen und etwas Meeresrauschen im Hintergrund.

 

Und dann wurde es ernst. Stephan Hollstein ist mit seinem Bus auf Tournee und hat bei uns vorbeigeschaut. Der in Freiburg lebende Ruhrpottler durfte schon in den 90ern CD’s produzieren und mit Musikern und Produzenten der Bands Münchner Freiheit und Pur (kennt die noch jemand?) zusammenarbeiten und machte dann eine viel zu lange kreative Pause. Jetzt juckte es ihn wieder und er produziert neue CDs auf eigenem Label (brandaktuell: „nahaufnahmen“) mit neuen Songs in Deutsch im verträumten Halb-Pop-Halb-Songwriter Stil. Mey und die Freiheit lassen grüßen.

Michi Bohlmann meinte dann auch in der Abmoderation, daß Hollsteins Musik wunderbar zu einem lauen Isarauenabend passen würde. Prompt bediente die zweite Künstlerin Katrin Balz dieses Bild mit ihrem ersten Song eben über diese Isarauen. Dort treffen sich alt und jung, arm und reich, Beamter und Student zum gemeinsamen Chill, also zu einer höchst sozialromantischen Veranstaltung. Katrin untermauerte dies mit bayrischer Mundart (sie soll sonst auch Deutsch und Englisch singen) und ihrer Ukulele. Und Nein, Katrin, wir müssen Dich enttäuschen: die Ukulele wächst nicht mehr.

Den Preis für die weiteste Anreise (Stephan Hollstein aus Freiburg lebt ja gerade im Bus) bekam Zora. Die Würzburgerin sucht und findet sich in ihrer Musik selber und präsentierte Englische und Deutsche Texte. Zeitweilig dachte ich an die Rainbirds (kennt die noch jemand?), leicht melancholisch in Musik und Text mit klarer Stimme und anspruchsvollen Aussagen. Sie stellte mit 4 Songs in den 6 Minuten erstmal einen MuSoC Rekord auf. Das Publikum hat ihre irre Logik schwerer Kost honoriert und ihr ordentlich Punkte beschert. Aber dazu später mehr.

Sissi van Thal hingegen machte es kurz. Die Bei-Kemptenerin (wieder ein Ort mit W für Stadt-Land-Fluss den keiner kennt: Wiggensbach) brachte in 4einhalb Minuten ihr Können und Ihre Botschaft auf den Punkt. Wer mehr wollte, musste sie eben einfach wählen. Sie tritt stets auf mit Hut, Gitarre und Mundharmonika. Hmmmm, da fällt uns doch glatt Bob Dylan ein. Aber anders als Bob kann man Sissi auch verstehen, ja, soll man verstehen, denn glasklar bringt sie es stimmlich geradeaus heraus und ihre lyrischen Texte sind zum Denken gedacht.

Herr Sebastian vom MuSoC Festausschuß freute sich danach in seiner Anmoderation zum 5. Act des Abends besonders, daß mal jemand aus seiner Heimat, dem Bayerischen Wald, Verzeihung, der Oberpfalz es in den MuSoC nach München geschafft hat. Dabei war es nur eine Frage der Zeit, bis A.VJU, sprich Anna und ihre Sicht der Dinge sich mal bei uns blicken läßt, denn München sieht sie derzeit häufiger. Neues Material (EP „Rivals“ seit März 2018 erhältlich) will unter die Leute gebracht werden. Sie singt u.a. in ihrem Song Black&White über innere Gegensätze und das mit stimmlichen Anleihen bei Edi Brickell (kennt die noch jemand?). Was für wunderbare Musik für den herbstlich-verträumten Cafébesuch zum Tee um 15h an Zopfmusterwollpullitagen.

Über Axel Kowollik muss man nicht wirklich viel sagen. Ungezählte Auftritte (man munkelt, es seien über 4500) und eine Karriere an der Seite von Chris Norman (kennt den noch jemand?) lassen den Vollblutmusiker auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Und er tat dies in seinem Song “the morning” mit einer klaren Botschaft in dieser demografisch prekären Situation: nicht etwa “Scheiß aufs Altwerden” sondern “Älterwerden mit Überzeugung”, Stolz und Freude über das Erreichte und die Lebensleistungen sind die Botschaft. Er stand hier zum zweiten Mal nach 2015 auf dieser Bühne. Eine Ewigkeit, denn im MuSoC-Universum zählen 3 Jahre Abstinenz mindestens doppelt. Die Songs sind auf höchstem Level durcharrangiert und wenn dies die unplugged Versionen waren, dann will man auch die Rockversionen.

“Unser”, ja das muss man inzwischen sagen, “unser” Florian Wagner war auch wieder mit dabei. Florian hat als Musikkabarettist mit eigener Show (“Mein erstes Mal”) auf Deutschlandtour eigentlich einen brechend vollen Terminkalender aber kommt immer wieder gerne zum MuSoC. Das muss Liebe sein, obwohl… es gibt da etwas, das liebt er wohl noch ein kleines bisschen mehr. Und davon handelte sein Beitrag am Klavier. Und eins wurde wieder einmal klar: wer ein nahezu perfektes Klavier hören und dabei herzhaft lachen will, muss bei Florian vorbeischauen – oder bei uns wenn er wieder mal zu Gast ist.

Der letzte Act in der Runde hatte sich als erstes für diesen Termin gemeldet. Es sind Skratchwork (bitte mit K), oder besser das halbe Skratchwork. Tanja und Andrej (es gibt noch 3 Bandmitglieder mehr) wollten laut, dreckig und geil. Und sie können laut, dreckig und geil. Die Kombination aus verzerrter E-Gitarre und kratziger Stimme (ich spare mir jetzt mal den Vergleich mit Janis, oder kennt die noch jemand?) lässt leise erahnen, was da mit Drums und Bass und zweiter E-Gitarre noch geht. Mit Sicherheit noch lauter, dreckiger und geiler. Mail an mich selbst: probehören bei Amazon und Spotify und dann ab in den nächsten Gig (z.B. 12.10. im Soundcafe). Vielleicht Ohropax mitnehmen, auf jeden Fall das Ramones T-Shirt.

MuSoC wäre nicht MuSoC, wenn in der Auszählpause nicht ein exzellentes Intermezzo das Warten versüßt. Wali Nawabi, ein Deutscher gefangen im Körper eines relativ stark pigmentierten Afghanen gab uns Einblicke in sein Leben, die Wahl seines Arbeitgebers (Deutsche Bahn statt Taliban), die Verwechslungen mit seinem Namen in Deutschland (Wali ist doch kurz für Waltraut, oder?) sowie die Erfahrungen bei seiner (bzw. Mutters) Wahl der Partnerin. Wer stand-up Comedy mag und das mal aus einer mehr schizoiden Perspektive präsentiert bekommen will, muss bei Wali vorbeischauen (z.B. an den Terminen des Comedy-Club Munich in der Drehleier oder täglich bei der Deutschen Bahn).

Die Stunde der Wahrheit: nach der Auszählung gab es für 3 KünstlerInnen ein Kopf-an-Kopf Rennen um den dritten Platz, den schlussendlich Florian Wagner mit hauchdünnem Vorsprung vor Zora und Katrin Balz gewinnen konnte. Und auch bei den ersten beiden Plätzen wurde es richtig spannend. Sissi van Thal und A.VJU lagen so dicht auf, dass das Applausometer entscheiden musste. Und so gaben beide noch einmal alles in der Zugabe. A.VJU ließ uns an ihrem ersten eigen geschriebenen Song teilhaben, ganz stilvoll mit Gitarre an einem Strand in Spanien komponiert und dort im Chiringuito auch gleich verprobt. So muss es doch sein. Entsprechend heißt das Werk auch “the sea.” Und Sissi van Thal kann jodeln. Und wie. Also jetzt nicht so ewiggestrigvolkstümlich wie die Hellwigs (kennt die noch jemand?) sondern… also einfach anders, neu, innovativ, gut. Und laut. Sehr laut. Es kümmerte sie zwar nicht heute, was morgen passieren sollte, aber das Publikum sah das anders, ließ es schon heute passieren und klatschte Sissi mit einem Hauch mehr Dezibel noch 10 Punkte nach vorn. Damit überholte sie A.VJU und errang den ersten Titel evening_hero_1 nach der Sommerpause 2018.

Nochmal fürs Protokoll: Sissi van Thal ist die Gewinnerin des MuSoC vom 6. September 2018 und A.VJU zweitplatzierte. Damit qualifizieren sich beide für den Champions Slam im Dezember. Sissi sehen und hören wir dann schon am 4. Oktober wieder, wenn sie den MuSoC #open 50 eröffnet. Ein toller Abend mit extrem hochklassigen KünsterInnen und dankbarem Publikum ging zu Ende. Ein riesiges Dankeschön an alle TeilnehmerInnen.

Auf ein baldiges Wiedersehen im Oktober in der Drehleier. Jetzt schon anmelden!

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